Partyhacking und
Partycrashing
Die ersten
Instruktionen kamen per Handy. »Vorgehensweise wie üblich: schwarzer
Anzug, kurze Lagebesprechung, dann rein.«
Im Foyer des Berliner Hotels Interconti steckt sich Frank Künster
eine Gitane an. Er sieht wichtig aus, trägt einen Smoking, ist
nachlässig rasiert - Wangen und Kopfhaut. Er könnte ein Bodyguard
sein, trägt aber Ohrringe statt eines Knopfs im Ohr. Frank Künster
ist kurz davor, ein gesellschaftliches Ereignis zu infiltrieren: die
Eröffnungsfeier der Berlinale. Nur für geladene Gäste. Und für Frank
Künster.
»Heute wird's schwierig«, sagt er ganz ruhig. »Kanzler und
Innenminister haben sich angesagt. Siehst du die Security-Typen
überall? Lauf einfach hinter mir her und sei unsichtbar.«
Künster hat eine Mission. Er will hinter die Einlass-Schleuse. Er
will zeigen, dass die Berliner Gesellschaft, unsere neue
Feier-Demokratie, gar nicht so abgeschottet ist, wie sie seit Jahren
zunehmend vorgibt.
Die VIP-Hierarchien, die im Rahmen der Hauptstadtwerdung entstanden
sind, die den Zugang regeln, wer wohin darf und wer nicht: Künster
spuckt darauf. Er läuft in Richtung hinteren Hoteltrakt.
Überall kritisch blickendes Hotelpersonal. Auf der anderen Seite der
Absperrung: das Prominentenvolk. Naomi Campbell, deren Parfüm er
schnuppern möchte. Er geht auf einen Eingang zu mit der Aufschrift
»Pool-Sauna«. Er ist vorbereitet, hat den Lageplan des Hotels im
Geiste studiert. »Vor Ewigkeiten hat mir jemand davon erzählt, wie
die Räume hier zusammenhängen«, sagt er. Vielleicht ein
Saunabesucher, vielleicht ein Hotelkoch - vielleicht ein anderer
Infiltrator? »Das weiß ich nicht mehr«, sagt er.
Künster öffnet die »Pool-Sauna«-Tür, die Temperatur steigt. Nach
wenigen Metern, kurz vor den Umkleidekabinen, geht links eine
weitere Tür ab, ohne Beschriftung. Sie führt zur Küche des
Festsaals. Aufmachen und schnell hinein. Dutzende Köche hantieren,
Serviererinnen wuseln durcheinander, werkeln am Büfett. Künster
spaziert seelenruhig an ihnen vorbei, niemand beachtet ihn.
Plötzlich aber droht Gefahr: Ein schwarz gewandeter Schrank mit
Walkie-Talkie kommt auf ihn zu. Künster schaut ihm in die Augen,
skeptisch, nickt dann, knapp und korrekt, greift sich einen
Champagner, der rechter Hand auf einem vollen Tablett steht, nimmt
einen Schluck, schaut dem Aufpasser erneut ins Gesicht.
Als wolle er ihn hypnotisieren, sagt er sich: »Ich habe das Recht,
hier zu sein. Ich weiß etwas über diese Veranstaltung, was du nicht
weißt. Und ich werde es dir auf keinen Fall sagen, also frag mich
erst gar nicht, sondern geh mir aus dem Weg.
<B>Rote
Kordeln sind kein echtes Hindernis</B>
Der Security-Mann schaut ein wenig verdutzt. Kann nicht einschätzen,
welche Rolle Künster spielt, der gelassen an ihm vorbei spaziert.
Schwingtüren öffnen sich. Übergang von der Küche in den Festsaal:
Musik, Hunderte von Society-Gestalten auf der Balz, wohlwollende,
überraschte Blicke von zwei Damen in engen Ballkleidern, die neben
dem Kücheneingang stehen, Künster grinst zurück.
»Das hat schon x-mal geklappt«, sagt er. »Nur heute war ich ein
bisschen nervös. Sogar in der Küche war Security, das ist selten!«
Die erste Hürde ist genommen, die nächste wartet. Zur Hierarchie
innerhalb der geschlossenen Gesellschaft gehört die VIP-Lounge: Beim
soeben infiltrierten Berlinale-Empfang thront die A-Prominenz, auch
physisch über das gemeine Partyvolk erhöht, auf einer Empore,
umzingelt von auf Kniehöhe hängenden roten Kordeln.
»Die meisten Gäste respektieren diese roten Kordeln als notwendiges
Element der Veranstaltung«, sagt Frank Künster. »Ich nicht.« Aus der
Sicht des Infiltrators ist die Kordel eine psychische Barriere,
keine physische: Ein entschlossener Schritt, und dem Small Talk mit
Wim Wenders steht nichts mehr im Wege. Und da, neben ihm, geistert
auch das Parfüm von Naomi durch die Luft.
Seine Fähigkeiten, Barrieren zu überwinden, hat sich Künster lange
antrainiert. Seit Jahren reguliert er als Türsteher an einigen der
heißest umkämpften Schleusen Berlins den Zustrom: in der
Cookie's-Bar, in den Clubs WMF, 90 Grad, Oxymoron, Greenwich. »Wobei
ich versuche, möglichst allen zu helfen, überall hineinzukommen«,
sagt er. »Ich fand es schon immer doof, wenn ich irgendwo nicht
hindurfte oder etwas nicht erfahren sollte. Deshalb bin ich, wenn es
die Raumkapazitäten zulassen, eher ein Reinlasser als ein
Türsteher.« Aufgrund seiner nachtnächtlich gewonnenen
Berufserfahrung verabscheut er harte Einlasskriterien. »Mein
Leitmotiv lautet: Selektion ist Aggression. Oder vielmehr: Selektion
ist Perversion.«
<B>Hürden
überwinden, aus Spaß - und der Demokratie zuliebe</B>
Dass er selbst zu bestimmten Ereignissen nicht erscheinen soll,
sieht er nicht ein. »Also infiltriere ich. Es ist eine Art
Hacker-Existenz: Die richtigen Passwörter, eine gute Kenntnis der
Lage, den richtigen Blick, die richtige Kleidung, dazu den absoluten
Willen hineinzukommen, schon funktioniert's.« Das Überwinden von
Absperrungen, sagt er, »scheint mir der Demokratisierung der
Gesellschaft förderlich«.
Sei es die Berlinale, die Verleihung der Goldenen Kamera,
Eröffnungsfeiern bedeutender Gebäude - keine glamouröse Party, keine
Selbstzelebrierung der Berliner Republik ist vor Künster sicher.
Seine Absichten sind jedes Mal die Gleichen: »Ich setze eine Maske
auf, um hineinzukommen. Darin ähnele ich dem herkömmlichen,
autorisierten Besucher, der eine Einladung vorweisen kann. Doch im
Gegensatz zu ihm lasse ich die Maske sofort fallen, wenn ich die
Schranke passiert habe.«
Der besondere Reiz liege für ihn darin, »nicht eingeladen zu sein,
dennoch hineinzukommen und dann auch noch aufzufallen«. Das tut er
schon dadurch, dass er sich ganz unbefangen, sozusagen von Mensch zu
Mensch, mit den anwesenden Stars unterhält, die sonst eher mit
taktisch motivierten Annäherungsversuchen zu tun haben. Auf diese
Weise »schleust man ein gewisses subversives Element ein. Man zeigt,
dass nichts sicher ist. Dass Abschottung nicht funktioniert.«
Die Methoden, mit denen er vorgeht, variieren. Manchmal leihen ihm
offiziell eingeladene Gäste ihre Einladung, damit er eine Farbkopie
herstellen kann. Manchmal, glaubt er, schauen Sicherheitsleute kurz
woanders hin, da sie intuitiv zu verstehen scheinen, dass der
Spaßfaktor steigt, wenn Künster anwesend ist. So kommt es ihm
manchmal vor, als ob Leute, die sich die Mühe machen, eine Party zu
infiltrieren, geradezu erwünscht sind. »Party-Hacker sind gar nicht
so ungern gesehene Gäste«, sagt er. »Sie sind das Salz. Sie
praktizieren die Grenzüberschreitung im sprichwörtlichen Sinne. So
etwas gibt einer Veranstaltung den nötigen Kick. Es ist wichtig,
dass einige nicht eingeplante Leute anwesend sind - selbst wenn es
die Gala zum SPD-Parteitag ist.«
Die ungebetenen Gäste, sagt er, »können dabei behilflich sein,
andere zum Exzess zu verführen. So bleibt eine Party dynamisch. Es
ist die Dosis Chaos, die sie braucht, um nicht öde zu werden.«
Es gibt so viele Infiltrationsmethoden und stile, wie es
Infiltratoren gibt. Ricardo und Christopher beispielsweise, Freunde
und Mitstreiter von Frank, recherchieren zunächst gründlich: Wer hat
Zugriff auf die Gästeliste? Wen kennen sie bei den beteiligten
Organisationen? Wer hat eine Einladung? Gibt es Bändchen fürs
Handgelenk, die den Zugang regulieren? Welche Farbe haben sie?
Ähneln sie vielleicht einem der Bändchen, die man noch zu Hause
herumliegen hat?
»So gut vorbereitet wie möglich hingehen, dann aber improvisieren«,
lautet Christophers Maxime, der jedes Wochenende recherchiert, wo
wann was läuft. »Lagepläne der Gebäude helfen natürlich. Andere
Party-Hacker fragen ist ebenfalls nützlich. Wenn ich irgendwo
ankomme, wird erst mal telefoniert - mit jemandem, der schon drin
ist. Der Rest ergibt sich.«
Auch Ricardos Rat klingt einfach. »Mehr wissen als der Veranstalter,
dann ist es leicht«, sagt er. »Schon hat man Zugang zu den
glamourösesten Partys. Die natürlich genauso schrecklich sind wie
alle anderen. Aber wenigstens war man da.«
Und was hat man davon? Wozu der ganze Aufwand? »Man wird diese Angst
los, etwas zu verpassen«, sagt Ricardo, »man hat ein angenehm
leeres, halb befriedigtes Gefühl hinterher.« Hinzu käme, sagt er,
dass man diese Erfahrung auch stellvertretend mache - »für die
Leute, die nicht kommen durften«.
Bei der Einweihung des Nachrichtensenders N24, zu der auch, anders
als Frank Künster, der Bundespräsident eingeladen war, spazierte
Künster durch zwei Sicherheitskontrollen hindurch, ohne von
irgendjemandem angesprochen zu werden - erklärbar nur durch sein
korrektes Nicken und seine Aura der Unantastbarkeit. Nach seiner
Einladung fragte keiner.
<B>Show,
Politik, Nachtleben - alles vermischt sich</B>
Auf die Frage, ob er jedes Mal Spaß hat bei seinen Aufenthalten in
der Event-Welt, zündet sich Künster eine weitere Gitane an. Seine
Antwort wird metaphysisch: »Es kommt mir durchaus so vor, als
absorbiere ich Aggressionen und Unsicherheiten, die bei wichtigen
Abendveranstaltungen immer entstehen. Da ist auf jeden Fall ein
gewisser Schmerz, den ich mitbekomme. Dieser Schmerz erinnert mich
immer daran, wie krank diese Oberflächen- und Machtwelt ist, die wir
aufbauen hier in Berlin.«
Haben die Aktivitäten der Infiltratoren tatsächlich positive
Auswirkungen auf die Gesellschaft? Will sie tatsächlich durchdrungen
werden - trotz ihrer vielfältigen Abschottungstechniken? »Unbewusst
will sie das auf jeden Fall«, glaubt Künster. Schließlich leben wir
in einer Zeit der umfassenden Vernetzung. »Show, Politik,
Nachtleben, Wirtschaft - alles wird offener und vermischt sich.«
Infiltrieren sei längst die Normalität. Wobei die Bewegung in beide
Richtungen gehe: »Man kann ja schon beobachten, dass die Regierung
versucht, die Szene zu hacken. Zum Beispiel, wenn Rezzo Schlauch
eine Party im 90 Grad veranstaltet. Wobei er dafür sicher einen
cooleren Ort hätte finden können.« Immerhin hat es seine
Parteifreundin, die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer,
bis in den halb legalen Club 103 geschafft (der nach einer Razzia
inzwischen geschlossen wurde).
Künster ist davon überzeugt, dass der Staat von diesem Kontakt mit
der Szene profitiert: Indem die Infiltratoren die Durchlässigkeit
der Grenzen herbeiführen, wirkten sie Tendenzen der Feudalisierung
entgegen. Und ähnlich wie Computer-Hacker, die die
passwortgeschützten Refugien des Internet infrage stellen,
zelebrieren Party-Hacker bei ihrem Eindringen in exklusive Zirkel
die Vernetzung sonst getrennter Gesellschaften.
Künster schaut auf die Uhr. »Ich muss los.« Die Sonne geht unter, es
wird Nacht, die Pflicht ruft: »Mein <I>nine-to-five job.«</I>
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